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Jede Organisation besteht grundsätzlich aus verschiedenen «Arbeitswelten». In diesem Beitrag werden diese durch vier Stockwerke in einem prototypischen Unternehmensgebäude symbolisiert. Vom zweiten Untergeschoss bis ins erste Stockwerk «leben» Mitarbeitende in unterschiedlichen Zufriedenheits- resp. Commitmentleveln. Ergebnisse aus der Mitarbeitendenforschung und -beratung helfen uns bei der Wahl geeigneter Massnahmen, um Mitarbeitende von einem Stockwerk in das nächsthöhere zu bringen. Und in welchem Stockwerk verbringen Sie die meiste Zeit?

In den letzten 25 Jahren hat die Mitarbeitendenforschung und -beratung viele neue Erkenntnisse hervorgebracht. Wäre ein prototypisches Unternehmensgebäude im Jahr 2000 gebaut worden, hätte es aus nur zwei Stockwerken bestanden: einem Zufriedenheitserdgeschoss und einem Unzufriedenheitsuntergeschoss. Dank der universitären Forschung haben sich inzwischen zwei weitere Stockwerke herauskristallisiert: das zweite Untergeschoss «Resignation» und das erste Obergeschoss «Commitment». icommit hat im vergangenen Jahr die erste evidenzbasierte Analyse dieser vier Stockwerke mit unterschiedlichen Arbeitswelten durchgeführt
und dabei festgestellt, auf welche Aspekte der Arbeitswelt sich die Mitarbeitenden in jedem Stockwerk konzentrieren. Die Ergebnisse zeigen, welche Massnahmen ergriffen werden müssen, um Mitarbeitende von einem Stockwerk in das nächsthöhere zu bringen.

Stockwerkwechsel ist wichtig

Jeder Mitarbeitende bleibt während seines/ihres Lifecycle bei einem Arbeitgeber nicht ineinem Stockwerk bzw. in einer Arbeitswelt, sondern wechselt je nach Situation zwischen den Stockwerken hin und her. Es ist sogar möglich, dass sich ein Mitarbeitender innerhalb eines Arbeitstags auf verschiedenen Stockwerken aufhält. Jeder Mitarbeitende kann sich fragen: Wie viel Zeit verbringe ich auf welchem Stockwerk und wann? Ist die derzeitige Situation für mich gesund, oder kann ich etwas tun, um sie zu verbessern? Darüber hinaus argumentiere ich, dass die Bewegung zwischen verschiedenen Stockwerken für die Gesundheit von zentraler Bedeutung ist, denn der ausschliessliche Aufenthalt in einem Stockwerk kann ungesund sein. Aber dazu später mehr.

Wie sehen die vier Stockwerke konkret aus? Beginnen wir von unten nach oben, wenn gleich ein neuer Mitarbeitender in der Regel im Erdgeschoss, also im Zufriedenheitsstockwerk, beginnt und es während der Einarbeitungszeit entscheidend ist, dass die Führungskraft es schafft, den Mitarbeitenden auf dieser Ebene zu halten oder ihn/sie auf das Commitment-Stockwerk zu führen.

Das Resignationsstockwerk (2. UG)

Das zweite Untergeschoss besteht ausschliesslich aus Einzelkammern bzw. -zellen, in denen der Mitarbeitende ganz allein arbeitet. Der Mitarbeitende fühlt sich sozial isoliert und zieht daher oft das Homeoffice vor, wenn dies möglich ist. Er/Sie vermeidet den Kontakt mit anderen Mitarbeitenden und der Führungskraft, da dies für ihn/sie oft eher eine Bedrohung als ein Vergnügen darstellt. In diesem Stockwerk dominieren der Dienst nach Vorschrift und der Minimalismus. Die Analyse dieser Mitarbeitendengruppe zeigt deutlich, dass der Fokus auf den Themen liegt, die im Benchmarkvergleich besonders kritisch bewertet werden. Relativ positiv bewertete Aspekte der Arbeitswelt, wie Arbeit und Freizeit oder Arbeitsinhalt, werden ausgeblendet. Die Themenbereiche, die für diese Mitarbeitenden am wichtigsten sind, zeigen, dass die sozialen Bedürfnisse nicht erfüllt werden. Die resignierte Person fühlt sich nicht ins Team integriert oder von der Führungskraft unterstützt. Er/Sie fühlt
sich weder gefördert noch ermutigt, seine/ihre Meinung zu teilen. Die einzige Möglichkeit, aus dieser Zone herauszukommen, besteht darin, sich stärker zu engagieren und die Kraft mithilfe der vorhandenen Stärken zurückzugewinnen. Nur so wird der resp. die Mitarbeitende wieder Eigenverantwortung übernehmen. Es ist klar, dass die Führungskraft in diesem Prozess eine zentrale Rolle spielt. Die Frage ist, ob es möglich ist, den Mitarbeitenden aus diesem Stockwerk zu bewegen, wenn diese/dieser
unter demselben Vorgesetzten in diese Zone abgerutscht ist. Neue Organisationsformen ohne einen einzigen Vorgesetzten könnten sinnvoll sein. In solchen Settings steigen die Mitarbeitenden vielleicht nicht einmal mehr in das Resignationsstockwerk hinab, da jede und jeder für sich selbst verantwortlich ist.

Das Unzufriedenheitsstockwerk (1. UG)

Im ersten Untergeschoss sind zahlreiche undichte Stellen sichtbar. Es ist ungemütlich, feucht und dunkel. Der/Die Mitarbeitende stört sich an den Rahmenbedingungen, die er/sie dort vorfindet, und fühlt sich nicht in der Lage, in diesem chaotischen Umfeld eine gute Leistung zu erbringen. Die statistische Analyse dieser Mitarbeitendengruppe zeigt deutlich, dass diverse organisatorische Rahmenbedingungen, welche die Person als Voraussetzung für die Wiedererlangung der Kraft betrachtet, sehr kritisch wahrgenommen werden. Auch in diesem Stockwerk wird der Fokus ausschliesslich auf die «pain points» gelegt, und die Stärken werden ausgeblendet. Am meisten stört den Unzufriedenen, dass es keine passende Unternehmenskultur und damit keine gemeinsamen Werte gibt und die Zusammenarbeit teamübergreifend nicht funktioniert. Darüber hinaus sind unklare Strukturen, schlechte und ineffiziente Prozesse, fehlende Verantwortung, der Arbeitsort und die Arbeitsmittel ebenfalls störend. Auch hier wird die Verantwortung dafür, dass die unzufriedene Person nicht von einem besseren Umfeld profitiert, bei der Führungskraft
gesucht. In diesem Stockwerk unterscheide ich zudem zwischen dem konstruktiv Unzufriedenen, der optimistisch ist und zur Verbesserung der Rahmenbedingungen beiträgt, und dem fixiert Unzufriedenen, der nicht an eine bessere Zukunft bei diesem Arbeitgeber glaubt und nur schimpft. Den Unzufriedenen ist gemeinsam, dass sie durch ihr Verhalten und ihre Wahrnehmung selbst den Unternehmensspirit gefährden oder sogar vergiften. Auch hier ist die Führungskraft stark gefordert: Sie muss es
schaffen, dass die Unzufriedenen sich selbstwirksam fühlen, und ihnen den Weg aus ihrer schwierigen Situation zeigen.

Das Zufriedenheitsstockwerk (Erdgeschoss)

Im Erdgeschoss gibt es sowohl ein Trainings-Center als auch Bereiche für produktives Arbeiten und Zonen, um neue Energie zu tanken und sich zu entspannen. Der/Die Zufriedene schätzt die ausgezeichnete Unternehmenskultur, die sich in der Zusammenarbeit und dem Spirit des Unternehmens ausdrückt. Der Job Fit passt: Die zufriedene Person kann ihr Wissen und ihre Fähigkeiten voll einsetzen und so eine gute Leistung erbringen, was wiederum die Kunden zufriedenstellt und sie selbst glücklich macht, da sie durch das positive Feedback Zufriedenheit tanken kann. Die «effort-reward balance» ist ebenfalls stimmig, was bedeutet, dass das Verhältnis von Vergütung zu Arbeit und Freizeit ausgeglichen ist. Die zufriedene Person kann Wissen erwerben und austauschen, und die eigene Gesundheit wird positiv wahrgenommen. Was will man mehr? Alle persönlichen Bedürfnisse sind befriedigt. Interessanterweise ist die Führungskraft hier nicht im Fokus. Möglicherweise ist es ihr gelungen, dieses Teammitglied richtig einzusetzen und in den Flow zu bringen, sodass sie sich selbst zumindest teilweise überflüssig gemacht hat.

Das Commitmentstockwerk (1. OG)

Im ersten Obergeschoss ist der Blick ganz auf den Kunden gerichtet, und das oberste Ziel des/der Committeten ist es, die Bedürfnisse des Kunden zu erfüllen und ihn/sie zu begeistern. Angetrieben wird der/die Committete durch eine klare, energetisierende Unternehmensstrategie und eine Vision, die leitet und Kraft gibt, um die Extrameile zu leisten, die in diesem Stockwerk fast schon selbstverständlich ist. Interessant ist, dass hier weder soziale Bedürfnisse noch organisatorische Rahmenbedingungen oder persönliche Bedürfnisse eine hohe Relevanz haben. Die Committeten sind hoch motiviert, das Unternehmensziel zu erreichen, mit dem sie die Arbeitswelt für alle verbessern können. Ein ausschliesslicher Aufenthalt in diesem Stockwerk birgt jedoch auch Risiken. Da die eigenen Bedürfnisse ausgeblendet werden und die persönliche Energie aufgrund der ständigen Hochleistung immer weiter abnimmt, kann dies auch zu einer übermässigen Reduktion der persönlichen Energie und im Extremfall zu einem Burn-out führen. Dann ist es wichtig, von Zeit zu Zeit ins Erdgeschoss zurückzukehren, um sich zu entspannen und neue Energie zu tanken. Denn
das Spannende ist, dass die committete Person die Kundenorientierung eher kritisch beurteilt: Er/Sie sieht viele unerfüllte Bedürfnisse der Kunden und Optimierungsmöglichkeiten. Obwohl die Führungskraft nicht im Fokus dieses Stockwerks steht, kann es dennoch hilfreich sein, wenn sie ihre Mitarbeitenden daran
erinnert, wie wichtig es ist, ihre Batterien im Zufriedenheitsstockwerk aufzuladen.

Situationsgerechte Unterstützung durch die Führungskraft

Die Mitarbeitenden nehmen ihre eigene Arbeitswelt sehr unterschiedlich wahr, wobei die Führungskraft in jedem Stockwerk eine zentrale Rolle spielen kann, wenn auch auf sehr unterschiedliche Weise. Eine Führungskraft muss erkennen, in welchen Stockwerken sich ihre Mitarbeitenden bewegen, um dann situationsgerecht Unterstützung leisten zu können, indem sie die Themen anspricht, die diese Mitarbeitenden wirklich beschäftigen. Eine resignierte Person lässt sich nicht durch eine hohe Begeisterung für eine Vision antreiben. Bei einer unzufriedenen Person ist es essenziell, die Rahmenbedingungen anzusprechen und ihr zu erklären, warum bestimmte Rahmenbedingungen derzeit nicht besser sind. Ebenso sollte die Führungskraft mit ihr gemeinsam überlegen, was sie braucht, damit sie sich mehr dem
Inhalt ihrer Arbeit widmen kann und weniger Energie darauf verschwendet, sich über den fehlenden Rahmen zu ärgern.

Autorenbeschrieb

Von Sven Bühler, Arbeitswelten Visionär

Sven Bühler, lic. phil., Psychologe, versteht sich als Arbeitswelten Visionär, ist Gründer und ist Inhaber des Beratungs- und Befragungsunternehmens icommit, das jährlich die Befragung zum Swiss Arbeitgeber Award durchführt. www.icommit.ch, www.swissarbeitgeberaward.ch

Originalbeitrag zum Herunterladen

Dieser Beitrag erschien in der März Ausgabe in der Print Ausgabe des HR-Developer.
Beitrag als PDF-Download verfügbar: Vier Arbeitswelten in jedem Unternehmen

Sven Bühler

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